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Bei Bagatelldiebstählen kann der Arbeitgeber nicht in jedem Fall fristlos kündigen


urbs-media, 21.6.2010: Bei Bagatelldiebstählen am Arbeitsplatz drohte den betreffenden Arbeitnehmern bisher im Regelfall die fristlose Kündigung. Ein Blick auf die genannten Kündigungsgründe zeigt aber deutlich, dass es vielen Arbeitgebern bei derartigen Kündigungen in Wahrheit nicht darum ging, einen angeblichen Diebstahl oder eine angebliche Unterschlagung zu sanktionieren.

Den ersten Preis bei dem Wettbewerb um den skurrilsten Kündigungsgrund verdient mit Sicherheit ein Unternehmer aus Oberhausen: Weil ein bei ihm seit 20 Jahren tätiger Mitarbeiter am Arbeitsplatz sein privates Handy aufgeladen hatte, wurde der "Stromdieb" im Juli 2009 kurzerhand fristlos gefeuert. Dieses Verfahren ist noch vor dem Arbeitsgericht anhängig, jedoch hat das Arbeitsgericht Oberhausen dem gekündigten Arbeitnehmer inzwischen Prozesskostenhilfe gewährt und damit zu erkennen gegeben, dass es die Kündigungsschutzklage zumindest nicht für aussichtslos hält.

Endgültig geklärt hat das Bundesarbeitsgericht inzwischen jedoch den Fall Emmely. Im Urteilsfall ging es um eine Kassiererin, die zwei von Kunden vergessene Pfandbons im Gesamtwert von 1,30 Euro eingelöst haben soll. Der Arbeitgeber - ein Discounter - nahm diesen Verdacht zum Anlass, der Arbeitnehmerin nach über 30 Jahren Betriebszugehörigkeit fristlos zu kündigen. Während die beiden Vorinstanzen die Verdachtskündigung für wirksam hielten, hat jetzt das Bundesarbeitsgericht zugunsten der Klägerin entschieden und die Kündigung für unwirksam erklärt.

Zwar bekräftigt auch das Bundesarbeitsgericht, dass Bagatelldiebstähle grundsätzlich eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Allerdings ist in derartigen Fällen aber auch eine Abwägung zwischen den Interessen des Arbeitnehmers am Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses und dem durch die Tat entstandenen Vertrauensverlust beim Arbeitgeber erforderlich. Insgesamt muss sich die sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses als angemessene Reaktion auf die eingetretene Vertragsstörung erweisen. Unter Umständen kann nämlich eine Abmahnung als milderes Mittel zur Wiederherstellung des für die Fortsetzung des Vertrags notwendigen Vertrauens in die Redlichkeit des Arbeitnehmers ausreichen.

Ob ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB für eine fristlose Kündigung vorliegt, ist daher insbesondere nach folgenden Kriterien zu entscheiden:

  • das gegebene Maß der Beschädigung des Vertrauens
  • das Interesse an der korrekten Handhabung der Geschäftsanweisungen
  • das vom Arbeitnehmer in der Zeit seiner unbeanstandeten Beschäftigung erworbene "Vertrauenskapital"
  • die wirtschaftlichen Folgen des Vertragsverstoßes
Im vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall "Emmely" kommen die höchsten deutschen Arbeitsrichter zu dem Ergebnis, dass ein einmaliges Fehlverhalten nach über 30 Jahren unbeanstandeter Beschäftigungszeit nicht geeignet sei, das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit der Mitarbeiterin derart zu erschüttern. Es fehle daher an einem wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung und angesichts des geringen Schadens wäre daher eine Abmahnung ausreichend gewesen, um einen künftig wieder störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu bewirken.

Die aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgericht stellt klar, dass es auch künftig bei dem Grundsatz bleibt, dass auch geringfügigste Eigentumsdelikte eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Arbeitsverhältnis erst kurze Zeit bestanden hat und sich deshalb beim Arbeitgeber noch kein Vertrauenstatbestand bilden konnte. Mit zunehmender Dauer des Arbeitsverhältnisses muss der Arbeitgeber bei einer Kündigung wegen eines so genannten Bagatelldiebstahls dann aber über den bloßen Tatvorwurf hinaus konkrete Tatsachen vortragen, warum ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Einzelfall nicht mehr zumutbar ist.

Damit dürfte auch die Entscheidung in dem oben genannten Fall des Stromdiebstahls in Form eines am Arbeitsplatz aufgeladenen Privat-Handys klar sein: Immer dann, wenn der Verdacht im Raum steht, dass der Arbeitgeber derartige Bagatelldelikte nur vorschiebt, um sich von langjährigen Mitarbeitern zu trennen, haben die Kündigungsklagen der betroffenen Mitarbeiter durchaus Aussicht auf Erfolg.

(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.6.2010 - 2 AZR 541/09)

urbs-media Praxistipp: Der Traum vieler Arbeitgeber: Der Arbeitnehmer verzichtet bereits vor Ausspruch einer Kündigung (z.B. bereits im Arbeitsvertrag oder zusammen mit der Kündigung) im Falle der Entlassung auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Derartige Vertragsgestaltungen sind jedoch nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg im Regelfall unwirksam.

Werden derartige Erklärungen vom Arbeitgeber vorformuliert, dann handelt es sich grundsätzlich um allgemeine Geschäftsbedingungen, deren Wirksamkeit sich nach den §§ 305 ff BGB beurteilt. Das Landesarbeitsgericht misst den Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage dabei an § 307 BGB. Bei dieser Inhaltskontrolle der Verzichtserklärung kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Verzichtserklärung eine unangemessene Benachteiligung der Klägerin darstellt, weil eine kompensatorische Gegenleistung des Arbeitgebers für den Klageverzicht fehlt.

Ein Verzicht des Arbeitnehmers auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage ist hiernach nur wirksam, wenn er zeitlich nach dem Ausspruch der Kündigung erfolgt. Damit scheidet die Vereinbarung eines Klageverzichts bereits im Arbeitsvertrag schon aus grundsätzlichen Erwägungen aus.

Aber auch ein Klageverzicht nach dem Zugang der Kündigungserklärung ist nur unter bestimmten Voraussetzungen wirksam. Dies gilt zumindest dann, wenn die vom Arbeitnehmer unterzeichnete Verzichtserklärung vom Arbeitgeber vorformuliert wurde, weil in diesen Fällen eine gerichtliche Inhaltskontrolle durchzuführen ist (§ 310 Abs. 4 BGB in der seit 1.1.2002 durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts geltenden Fassung). Eine formularmäßige Verzichtserklärung ohne kompensatorische Gegenleistung stellt deshalb in der Regel eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB dar und ist deshalb unwirksam.

(LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.7.2006 - 2 Sa 123/05)



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