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Beim Streikrecht für Kirchenangestellte ist das letzte Wort noch nicht gesprochen


urbs-media, 2.12.2012: Wer an Großunternehmen in Deutschland denkt, dem kommen vermutlich in erster Linie Siemens, Mercedes oder die Deutsche Post in den Sinn. Weit gefehlt: Nach dem öffentlichen Dienst sind die beiden großen deutschen Religionsgemeinschaften mit etwa 1,3 Mio. Mitarbeitern der zweitgrößte Arbeitgeber in der Bundesrepublik. Für Außenstehende vermutlich ein beneidenswerter Traumjob, wenn man für die evangelische oder katholische Kirche arbeiten darf.

Arbeitnehmer zweiter Klasse

Im Vergleich zu den Beschäftigten in der Privatwirtschaft sind Kirchenmitarbeiter aber nach dem Verständnis ihrer Arbeitgeber nur Beschäftigte "Zweiter Klasse". Denn die wesentlichen Arbeitnehmerrechte (z.B. Mitbestimmungsrecht, Streikrecht) werden ihnen verwehrt. Hierzu berufen sich die Kirchen auf den Artikel 140 des Grundgesetzes (GG), der einige kirchenrechtliche Bestimmungen wortgleich aus der Weimarer Reichsverfassung (WRV) übernimmt. Für den Streit um das Streikrecht von Kirchenmittarbeitern ist vor allem der Artikel 136 und der Artikel 137 WRV von Interesse:

Artikel 136 WRV

(1) Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.

(2) Der Genuss bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis.

(3) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.

(4) Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.

Artikel 137 WRV

(1) Es besteht keine Staatskirche.

(2) Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluss von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen.

(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.

Sie werden sich nach der Lektüre der einschlägigen Verfassungsvorschriften zum Thema "Religionsgemeinschaften" nun mit Recht fragen: Wie kommen die Zollitschs und Schneiders um Gottes Willen nur darauf, dass Arbeitnehmer von kirchlichen Organisationen keine Tarifverhandlungen führen und insbesondere nicht streiken dürfen?

Geschichtsfälschung aus der Adenauer-Zeit

Aus der insoweit fortgeltenden Weimarer Reichsverfassung jedenfalls kann man ein einseitiges Direktionsrecht der kirchlichen Arbeitgeber hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und der Lohnhöhe mit Sicherheit nicht herleiten. Denn in der Weimarer Republik wäre niemand auch nur im Traum auf die Idee gekommen, dass Mitarbeiter in kirchlichen Krankenhäusern. Kindergärten usw. nicht streiken dürfen. Ganz im Gegenteil:

Wie die Zeitung "Neues Deutschland" in ihrer Ausgabe vom 20.11.2012 berichtet, gab es in der Weimarer Republik durchaus Tarifverträge in kirchlichen Einrichtungen und auch gewerkschaftlich organisierte Streiks. Die von den Kirchenoberen in Deutschland mit Vorliebe gebrauchte Formulierung "Gott kann man nicht bestreiken" kann also nur ein Produkt der Nachkriegs-Geschichte sein.

Und tatsächlich: Das Streikverbot für Kirchenmitarbeiter stammt aus der Adenauer-Zeit. Denn erst in den 50er-Jahren setzte sich die frömmelnde Rechtauffassung durch, dass man "gegen Gott nicht streiken könne".

Koalitionsfreiheit geht vor Glaubensfreiheit

Das Bundesarbeitsgericht hat jetzt dem Sonderweg der kirchlichen Arbeitgeber ein Begräbnis erster Klasse verpasst und festgestellt: Die Koalitionsfreiheit der Beschäftigten geht im Arbeitsrecht der Glaubensfreiheit der Kirchenführung vor. Dies ist vom Standpunkt der Richter am Bundesarbeitsgericht auch völlig konsequent. Dort, wo kirchliche Träger am Markt mit anderen Einrichtungen konkurrieren, sollen sie diesen Wettbewerb unter gleichen arbeitsrechtlichen Bedingungen austragen.

(BAG, Urteile vom 20.11.2012 - 1 AZR 611/11 und 1 AZR 179/11).

Den von den Kirchen propagierten gewerkschaftsfeindlichen Sonderweg darf es folglich nur dort geben, wo es unmittelbar um grundlegende Glaubensinhalte geht. Ein Streikverbot für Pfarrer und Bischöfe wäre daher vermutlich zu akzeptieren, nicht aber für Ärzte und Pfleger in kirchlichen Kliniken oder für das Personal in einem kirchlichen Kindergarten.

Nächste Etappe: Die Politik und das Bundesverfassungsgericht

Eines ist klar: Die beiden vor dem Bundesarbeitsgericht unterlegenen Kirchen werden ihre arbeitsrechtlichen Privilegien durch alle Instanzen verteidigen. Deshalb ist eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht absolut sicher. Und dort wird bislang leider immer noch den willkürlich festgesetzten Glaubensdogmen von Religionsgemeinschaften ein viel zu großes Gewicht beigemessen.

Gefahr droht den Kirchenmitarbeitern aber auch von der Politik: Dass CDU und CSU fest zu den in der Adenauerzeit entwickelten Grundsätzen des kirchlichen Streikverbots stehen, versteht sich von selbst. Aber auch unter einer denkbaren rot-grünen Bundesregierung hätten die 1,3 Mio. Kirchenbeschäftigten keinen Grund zum Jubeln: Denn die Spitzenkandidatin der Grünen für die kommende Bundestagswahl Katrin Göring-Eckardt hat sich in ihrer Rolle als Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland stets für eine Beibehaltung des Streikverbots ausgesprochen. Damit ist die derzeitige Grünenführung noch deutlich konservativer als der Vatikan, der schon seit Jahrzehnten ohne zu murren mit den italienischen Gewerkschaften Tarifverträge für die Angestellten im Kirchenstaat abschließt.

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