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Erste Klagen gegen die Steueridentifikationsnummer sind beim Finanzgericht Köln eingegangen


urbs-media, 1.9.2008: Gegenwärtig werden den Bürgern in Deutschland etwa 82 Mio. Postsendungen mit der neuen persönlichen Steueridentifikationsnummer (TIN) zugestellt und die Deutsche Post sowie private Briefversender jubeln über diesen in der Geschichte der Bundesrepublik bisher einmaligen Großauftrag. Auch Säuglinge bekommt die 11-stellige Kontroll-Nummer und erst 20 Jahre nach dem Tod wird die TIN endgültig gelöscht.

Beim Versand der Steueridentifikationsnummern durch das Bundeszentralamt für Steuern gibt es nach Presseberichten offensichtlich zahlreiche Irrläufer und auch seit Jahren verstorbene Personen wurden eine TIN zugeteilt. Allein im Bundesland Nordrhein-Westfalen soll es etwa 1 Mio. Briefsendungen geben, die ihren Adressaten wegen falscher Anschriften und anderer Fehler nicht erreicht haben. Doch nicht nur das Organisationschaos bei der Adressübermittlung von den örtlichen Meldeämtern zum Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) empört zahlreiche Bürger, es gibt auch handfeste verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, ob die Bundesregierung überhaupt befugt ist, jedem Bürger in Deutschland eine staatlich festgelegte Kontrollnummer zuzuteilen.

Hintergrund dieser verfassungsrechtlichen Bedenken ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1969 (1 BvL 19/63). In diesem so genannten Mikrozensusurteil vom 16.7.1969 heißt es: "Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren." Diese eindeutige höchstrichterliche Feststellung führte dann dazu, dass der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages im Jahre 1976 die geplante Einführung einer Personenkennziffer (PKZ) für alle Einwohner in Deutschland stoppte, weil die Entwicklung, Einführung und Verwendung von Nummerierungssystemen, die eine einheitliche Nummerierung der Bevölkerung ermöglicht, nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Mikrozensusurteil unzulässig ist.

Jetzt hat die Große Koalition praktisch durch die Hintertür erneut eine Durch-Nummerierung aller Bewohner der Bundesrepublik in Gang gesetzt. Datenschützer wie z.B. der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Peter Schaar haben in diesem Zusammenhang schon mehrmals darauf hingewiesen, dass ein zentrales Bundesmelderegister verfassungsrechtlich unzulässig ist. Bei der Steueridentifikationsnummer handelt es sich aber genau um ein derartiges unzulässiges Personen-Register in der Hand einer Bundesbehörde. Dies führte z.B. zur Verleihung des Big Brother Awards 2007 an den deutschen Finanzminister Peer Steinbrück.

Der Vorsitzende der Humanistischen Union (HU) Sven Lüders sieht außerdem die Gefahr, dass die einmal zentral beim Bundesamt für Steuern gesammelten Daten über kurz oder lang auch für andere nichtsteuerliche Zwecke missbraucht werden sollen. Hierauf deute insbesondere eine schwammige Öffnungsklausel in der Abgabenordnung, wonach auch andere öffentliche und nicht-öffentliche Stellen die Steuer-ID verwenden dürfen, wenn eine Rechtsvorschrift dies erlaubt (§ 139b Absatz 2 AO).

Welche Überwachungsmöglichkeiten sich für den Staat durch die Steueridentifikationsnummer ergeben, hat der Technik- und Wissenschaftsjournalist Peter Welchering im Deutschlandfunk erläutert. Hier ein Auszug:

Die Identifikationsnummer ist datentechnisch gesehen nichts anderes als eine einheitliche Personenkennziffer, über die alle Daten zu dieser Person in allen von Behören oder öffentlichen Stellen geführten Datenbanken recherchiert werden können. Wo wohnt der Gesuchte, welches Auto fährt er mit welchem KFZ-Kennzeichen, welche Kredite muss er bedienen, welches Einkommen hat er.

Bei der automatisierten Erfassung von KFZ-Kennzeichen an Autobahnen kann sogar ermittelt werden, wann er wohin gefahren ist. Seit dem 1. Januar gilt zudem die Telekommunikationsvorratsdatenspeicherung. Über diese Identifikationsnummer kommt man leicht an Handy- und Gerätenummer und kann ermitteln, wann jemand in welcher Funkzelle war, also ein Bewegungsprofil erstellen. Rein datentechnisch gesehen ist über diese Personenkennziffer, wenn sie in einem zentralen Melderegister zusammengeführt wird mit anderen personenbezogenen Daten nicht nur der gläserne Bürger, sondern seine komplette Überwachung möglich.

Quelle: Deutschlandfunk vom 9.2.2008

Um diesen befürchteten Missbrauch personenbezogener Daten schon im Ansatz zu unterbinden, hat die Humanistische Union daher für ein Vereinsmitglied beim Finanzgericht Köln Klage gegen die Zuteilung der Steueridentifikationsnummern erhoben (2 K 2822/08). Dieses Finanzgericht ist für alle Klagen in dieser Angelegenheit erstinstanzlich zuständig, weil das Bundeszentralamt für Steuern seinen Sitz in Bonn hat.

Über diese Klage der Humanistischen Union hinaus sind beim Finanzgericht Köln bereits mindestens zwei weitere Verfahren gegen die Steueridentifikationsnummer anhängig: ein Sozialarbeiter aus Güstrow hat ebenso Klage erhoben wie ein Rechtsanwalt aus Düsseldorf. Letztendlich wird der Streit über die Steueridentifikationsnummer mit Sicherheit vor dem Bundesverfassungsgericht enden und wenn die Richter aus Karlsruhe dabei ähnliche Maßstäbe hinsichtlich des Grundrechts auf "informationelle Selbstbestimmung" anlegen wie in der Vergangenheit, dann dürfte diese Totalerfassung eines ganzen Volkes eindeutig gegen das Grundgesetz verstoßen.

urbs-media Praxistipp: Teilweise sind die Kennzeichen der persönlichen Steueridentifikationsnummern auch eindeutig falsch. Dies betrifft insbesondere alle diejenigen Deutschen, die vor dem Ende des zweiten Weltkriegs in den ehemaligen deutschen Ostgebieten geboren wurden. Dort findet man dann häufig unter der Ziffer 9 (Geburtsstaat im Ausland) die Eintragung Polen, obwohl die Betroffenen im damaligen Gebiet des Deutschen Reiches geboren wurden und nach ihrer Geburtsurkunde unzweifelhaft Deutsche sind.

Wer sich gerichtlich gegen die Steueridentifikationsnummer wehren will, der muss innerhalb von vier Wochen nach Zusendung des Schriftstücks beim Finanzgericht in Köln Klage erheben. Die Anschrift lautet: Finanzgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln.

Auch wer sich nicht gerichtlich gegen die Steueridentifikationsnummer wehren will, kann passiven Widerstand üben. Dabei braucht man noch nicht einmal so weit gehen wie der Düsseldorfer Rechtsanwalt Georg Groth, der dem Bundeszentralamt für Steuern sogar schriftlich mitgeteilt hat, er werde zukünftig immer eine falsche Steueridentifikationsnummer angeben. Gegen einen "versehentlichen Zahlendreher" ist die Behörde aber mit Sicherheit machtlos, weil das ja jedem passieren kann. Das bei massenhaften Zahlendrehern verursachte Datenchaos dürfte selbst die leistungsfähigsten staatlichen Computer vor unüberwindliche Probleme stellen und dem deutschen Überwachungsstaat schnell die Grenzen des technisch Machbaren aufzeigen.



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